30 JAHRE HOCHFLUGTAUBENSPORT MIT Leipzig, den 4. Mai 1937 Im Februar dieses Jahres sind es 30 Jahre her, dass ich den Hochflug – taubensport ausübe und ausschliesslich den Wiener Hochflieger züchte. Freilich habe ich seit 1884 und war 1900 ein leidenschaftlicher Züchter der langen Berliner, die ich in allen Farben hielt. Später war ich ein eifriger Elbinger-, Kalotten- und Weissschwanzzüchter. Als ich mich aber verheiratete und auf dem Grundstück meines Schwiegervaters einen ganz grossartigen, hochgelegenen Taubenboden gebaut hatte, war mein Sinn nach etwas Neuem, nach einer Taube, die hoch fliegt, die klug war und gut züchtete. Da las ich Ende 1906 in der „Geflügel- Börse“ etwas über die „Wiener Hochflieger“. Ich schrieb an bewährte Züchter, wie Langebartels in Braunschweig, E. Richter in Leipzig und Scholkemeyer in Magdeburg und liess mir schliesslich Wiener schicken. Aber nicht ein oder zwei Paare, sondern etwa 60 Stück. Viel Lehrgeld habe ich beim Eingewöhnen der Wiener bezahlen müssen, aber nach einigen Wochen hatte ich im Frühjahr 1907 doch eine kleine Jageflucht, die mich in Erstaunen setzte. 1908 betrieb ich die Jagerei mit den Wienern schon in Massen, denn meine Jageflucht war über 60 Tiere. Nun freut sich der Mensch ja nicht gern allein, daher suchte ich den Wiener, mit ihm den Hochflugtaubensport, der in Hamburg-Altona völlig unbekannt war, zu verbreiten. Ich verschenkte oder gab willig von meinen Tauben ab und hatte bald in meiner Nachbarschaft drei und im Bezirk von Hamburg einen Züchter, die den Hochflugsport mit Eifer oblagen. Gleich nach dem Krieg (erster Weltkrieg) gründete ich dann hier den ersten „Wiener Verein“, der bahnbrechend geworden ist, denn wir hatten tüchtige Züchter, die Verstand, Freundschaftsgeist und Geld hatten, um die Rasse und den Sport bekanntzumachen. Zum Beispiel haben wir 1919 schon nach den von mir entworfenen Hochflugbedingungen, die ähnlich den heutigen Fachschafts-Hochflugbedingungen lauteten, unsere Hochflugkonkurrenzen abgehalten und Preise zwischen 10 und 60 RM (Reichs Mark) verteilt. Umgerechnet sind 10 RM = 42,80 Euro und 60 RM = 256.80 Euro. Ungefähr acht Jahre hat dieser erste Wiener-Verein bestanden, dann wurde er aufgelöst. Heute werbe ich für alle deutschen Hochflugtaubenrassen und gehöre daher dem „Verein zur Pflege und Förderung des Hochflugtaubensport in Deutschland, Sitz Hamburg“ an, der fast 50 Mitglieder zählt. Freilich muss ich sagen, dass ich persönlich dem Wiener Hochflieger treu bleiben werde, denn er ist in jeder Beziehung ein ganz idealer und hübscher Hochflieger, der allen Anforderungen entspricht. Als Hochflieger gilt nun bei mir nur eine Taube, die Oberluft fliegt, also als Punkt am Himmel steht, alle andern Flughöhen kommen meines Erachtens nicht in Betracht. Wie lange ein Stich Oberluft fliegt, das ist jedermanns Sache. Mir genügt, wenn er es eine Stunde lang tut. Denn ein jeder ist nicht Millionär, der drei oder noch mehr Stunden auf dem Dach sitzen kann. Die Hauptsache ist, dass der Hochflieger überhaupt zur Leistung angehalten und gejagt wird.
Die ersten Erfahrungen mit der Wiener AZur Fastnacht oder zum 1. März setze ich meine Zuchtpaare, die ich im Lauf der Wintermonate schon genau auf dem Papier zusammengestellt habe, zusammen. In ein oder zwei Tagen sind die Tiere verpaart und bordfest. Meine ganze Aufmerksamkeit richte ich dann auf die kommende Jungzucht. Die alten Paare werden zweimal gut gefüttert, sie bekommen reichlich alten Mörtel und Kiessand, sie erhalten ferner alle Wochen ihr Badewasser und haben immer einen Salzleckstein zur Verfügung stehen. Acht Tage nach dem Zusammensetzen haben die Tiere gewöhnlich Eier liegen in den Gipsnestern, die ich gut zu einem Viertel mit Sägemehl voll packe, worauf dann eine Lage klein geschnittenes Stroh kommt. Aus Prinzip helfe ich nun keinem Jungen, das aus dem Ei nicht herauskommen kann, denn diese Tiere sind doch zu schwach und werden nie gute, kräftige Flieger werden. Sind die Jungen vier Wochen alt, dann nehme ich sie von den Alten weg und sie kommen aufs Dach in den Wendekasten. Zwölf, höchstens vierzehn Tage, dann haben sie lange genug Zeit gehabt, sich die Umgegend anzusehen, dann jage ich sie ab. Ach Tage später können die Jungen Trupp fliegen, und damit beginnt die grösste Freude für den Züchter, wenn die junge Flucht zu streifen anfängt. Dieses Streifen der Jungtiere halte ich für unbedingt notwendig, da sie dann erst richtig die Lage ihres Schlages kennenlernen und auch Gelegenheit haben, ihre Klugheit zu beweisen; denn es liegt auf der Hand, dass die junge Flucht beim Streifen durch die vielen fremden Taubenschläge und Taubenfluchten vielen Anfechtungen ausgesetzt ist und manches Jungtier beim Streifen verloren geht, welches nicht fest an den Graden ist. Nach etwa acht Wochen, wenn die Jungtiere treiberisch werden, streifen sie nicht mehr, sondern bleiben in der Nähe des Schlages. Dann stecke ich die Junge Jageflucht gewöhnlich in die alte Jageflucht, damit die Alten, die inzwischen ebenfalls gut eingejagt worden sind, nun den Jungen das Oberluftfliegen beibringen. Freilich fliegen die Jungen beim Streifen auch mal Oberluft, aber doch nur eine kurze Zeit, meistens fliegen sie Flimmerhöhe, also Sperlingsgrösse. Ich halte das Streifen der Jungen Hochflieger aber auch deswegen für notwendig, damit die Verluste nicht so gross sind, wenn die ganze Flucht im Herbst mal abdreht. Das Abdrehen der Hochflieger wird meines Erachtens nur durch Wolkenspiegelung oder Raubvogelzug verursacht. Die Tauben sind dann so hoch, dass sich gemütlich eine Wolkenschicht darunter schieben, kann die Flucht wird unruhig, weil sie ihre Heimat nicht sehen kann, und dreht ab. Da das Abdrehen gewöhnlich im Zickzackmarsch sehr schnell geschieht, so sind die Tiere, wenn sie sich einigermassen mürbe geflogen haben und zu Verstand kommen, meistens von ihrem Heimatschlag schon meilenweit weg. Die Flucht spritzt dann schliesslich auseinander und jedes Tier versucht auf eigene Faust die Heimat wieder zu finden. Es liegt auf der Hand, dass die Tiere, die in der Jugend gestreift, also was gelernt haben, eher nach Hause finden als die Tiere, die ständig mit den Alten über Dach gedreht haben. Jeder Hochflugtaubensportler hat Gelegenheit, sich mit dem Zug der Wolken vertraut zu machen. Da wird er die Wahrnehmung gemacht haben, dass oft ganz hauchdünne Wolken über > ihn wegziehen, die aber geeignet sind, den Tieren ein schiefes Bild von ihrer Heimat und somit Veranlassung geben, abzudrehen. Vor Monaten war in den Tagesblättern die Beschreibung eines Flugzeugfluges von einem Laien zu lesen. Da macht der betreffende Teilnehmer die Mitteilung, dass sie mit dem Flugzeug in 500 m Höhe in eine Nebelbank gerieten, wo sie von der Erde nichts mehr sehen konnten. Man stelle sich vor, wenn die Wienerflucht hoch steht und ein Nebelschleier zieht sich unter sie, dass dann die Tiere ängstlich werden und abdrehen, liegt doch auf der Hand. Aber die Verluste sind dann nicht so gross, wenn die Tiere in der Jugend gestreift, also etwas gelernt haben, sie suchen und finden dann auch auf weiten Strecken nach Hause. So z.B. drehte mir im September vorigen Jahres meine Wienerflucht ab, dabei verlor ich neun feine Tiere. Aber, die ich verloren habe, waren alles Tiere, die in der Jugend nicht gestreift hatten. Ich hatte nämlich voriges Jahr das Pech, dass meine zweite Flucht in zwei getrennten Abteilungen gross wurde. Um nun nicht die Einjagerei zum dritten Mal machen zu müssen, steckte ich die letzten zehn Jungtiere einfach in meine alte Jageflucht, ohne dass die ersteren gestreift hatten. Na, das Experiment ist missglückt, denn die letzten Jungen waren weg, als sie mal zeigen sollten, ob sie was gelernt hatten. Die alten Hamburger Taubenjager wussten, was sie taten, wenn sie die Jungen, die nicht gestreift hatten, immer weggaben. Dass der Wiener an sich nicht dumm ist, das habe ich ausprobiert. Ich hatte nämlich vor Jahren einem Sportskollegen im Holsteinischen einige meiner Wiener verkauft. Der Mann wohnte 150 km von mir ab. Aber ein Tier war ihm ausgerückt und zu mir zurückgekehrt. Hierauf habe ich verschiedenen Mitgliedern eines mir befreundeten Fernflugvereins von meinen Wiener zum Preisfliegen überlassen. Die Herren hatten grosse Erfolge. Und Heute kaufen hier die Fernflugsportler gerne einen Wiener, um ihn mit Fernfliegern zu verschneiden.(verpaaren) Es sollen diese Kreuzungsvögel die schärfsten (besten) Fernflieger werden. Einige Lehren für den Anfänger möchte ich noch geben:
Welchen Farbenschlag der betreffende Anhänger sich nun zulegt, das ist Geschmackssache, denn wir haben ausser dem verlässlichen Hellstorch den einfarbigen Blauen, den Schwarzen, den Schimmel, den Rot- und Gelbstorch und den Dunkelstorch. Vielleicht sehen wir den schönen Wiener Kiebitz mal wieder. Um die Neuzüchtung des Dunkelstorches oder richtiger, um Erhaltung des Wiener Dunkelstorches hat sich Herr A. Viebig, Berlin-Wilmersdorf, grosse Verdienste errungen. Übrigens ergibt die Kreuzung zwischen Hell- und Dunkelstorch die schärfsten und besten Flieger. Allen Hochflugtaubensportler rufe ich zu: lasst euch euren schönen alten Sport nicht verdriessen, wenn auch die Flucht im Herbst mal abdreht und ihr grosse Verluste habt; denn erstens züchtet der Hochflieger so gut, dass > bald der Verlust ersetzt ist, und zweitens dreht nur eine gut fliegende Flucht ab, schlechte Flieger drehen ums Dach oder geringe Höhen, so dass sie nicht abdrehen können. Wenn also deine Hochflieger abdrehen, dann ist es ein untrügliches Zeichen, dass du gute Hochflieger hast und hattest; und die Behandlung war richtig. Die nachfolgenden Bilder zeigen die letzte Hamburger - Taubenklappe. Sie gehörte Ferdinand Barckmann und wurde 2004 demontiert, nachdem der Besitzer gestorben war. Es soll Ende des 19. Jahrhunderts in der Hamburger Innenstadt keine Strasse gegeben haben, in der nicht einen Taubenschlag (Taubenklappe) auf den Dächern stand. Von dort wurden die Jagefluchten geflogen. Fotos von Daibor Daniel Hamburg. Walter Stettler CH Binningen www.flugtippler.ch |