Die Tauben in den ältesten Kulturen

Der Anfang sowohl unserer Haustiere als auch unserer Kulturpflanzen ist in völliges
Dunkel gehüllt. Schon vor 4000 Jahren bauten die Inkas,deren noch heute lebende Indianer-
nachkommen ganz den Japaner ähnlich, die Kornfrucht auf den Hochflächen Perus und
Boliviens. Sie waren nicht die ersten Kultivierer,sondern hatten den Getreidebau übernom-
men von einer Jahrtausende vor ihnen bestehenden Kulturmenschheit,die ihren Ackerfleiß bis
5000 m hoch in den Anden betätigte.

Wie die Entstehung der Brotfrucht, ist auch die der Haustiere unbekannt. Tiere sind in häusliche
Pflege genommen worden zu einer Zeit, aus der uns keine schriftlichen Urkunden vorliegen. Auch
der Anfang unserer zahmen Taubenrassen können wir nur vermuten. Niemand kann sagen, ob Tauben
zuerst in Indien oder Persien, in Syrien oder Ägypten als Haustiere gehalten wurden.
Mit den ersten geschichtlichen Überlieferungen aus diesen alten Kulturländern werden auch
Tauben als Kulturbestandteile genannt.

Aus Keilschriften der Chaldäer, Babylonier, Assyrer und anderer Kulturvölker wurde ent-
ziffert, dass die Haltung und Abrichtung von Tauben und Brieftauben über 3000 Jahre v. Chr.
Zurückreicht. Die ägyptischen Denkmäler ältester Zeit zeigen bereits Abbildungen von Tauben-
schwärmen, denen Futter gereicht wird. Die Ägypter waren weit und breit bekannt als vortref
fliche Geflügelzüchter. Tauben wurden am Pharaonenhof für die Tafel gebraucht, und an
anderen Stätten nicht weniger.

Die Halbzähmung der wilden Felsentaube und ihre Umprägung zum Haustier erfolgte
vermutlich in unkontrollierbaren prähistorischen Zeiten. Man wird nicht fehlgehen,
wenn man mit Heinroth annimmt, dass der höhlenbewohnende Mensch die Felsentaube als
Mitbewohner in seiner Felsenkluft zuerst duldete und sehr bald wegen ihrer nützlichen hohen
Fruchtbarkeit pflegte. An vielen Orten und in mehreren Ländern, wo die Felsentaube heimisch
war, dürfte sie darum gleichzeitig und unbeeinflusst voneinander zum Haustier erkoren
worden sein. Durch ihre Lebensgepflogenheiten bot sie sich dem Höhlenbewohner von selbst
an.

Wie in Ägypten, gab es auch in Griechenland eine hochentwickelte Taubenzucht. Die ältesten
Schriftsteller sprechen von der griechischen Taubenzucht als von etwas allgemein Bekanntem.
Die Orakel von Delphi und Dodon benutzten die Tauben schon als weissagende,dämonische Tiere.
In Syrien, wo die Taube heilig gehalten wurde,lebten sie mit den Menschen in einem Hause,

in unzähligen Scharen auf Straßen und Plätzen.

Bei den Griechen, die mit den umliegenden Ländern in einem lebhaften Warenverkehr standen,
bildeten die Tauben einen beliebten Handels und Tauschartikel. Die Tauben edler Rasse kamen 
aus Persien nach Griechenland. Die Perser führten Tauben als Kundschafter auf ihren Kriegs-
schiffen mit. Zahme Tauben waren es ,die beim Schiffbruch der persischen Flotte am Athos
sich von den scheiternden Fahrzeugen ans Land retteten. Auch Noahs  Taube kehrte Bekan-
ntlich zur rettenden Arche zurück,als die Wässer der Sintflut sich noch nicht verlaufen hatten.

In Italien ist die Taube durch die Phönizier eingeführt worden. Den Phöniziern war die Taube
heilig und unantastbar. Die realistischen Römer hingegen gingen zur praktischen Zucht über,
um eine wichtige Einnahme und willkommene Speise mehr zu haben. Sie waren Feinschmecker,
ihre lukullischen Mahle sind heute noch sprichwörtlich.

Tausende von Taubenpaaren bevölkerten die wohlgepflegten und gut eingerichteten Schläge.

Große Schläge,die manchmal bis fünftausend Stück zählten,wurden von einem eigens dazu bestellten
Taubenwärter betreut. Decke und Wände des Schlages waren glatt und getüncht, um Eidechsen
und Mäusen das Herumklettern zu erschweren. Gegen Ungeziefer und Schlangen
waren Türen und Fenster mit Schutznetzen versehen. Jedes Taubenpaar hatte seine eigene Nist-
zelle. Die Nistzellen waren entweder als Nische in der Mauerwand selbst angebracht oder sie
wurden auch aus Holz verfertigt und an den Wänden des Schlages in Reihen vom Fußboden
bis zur Decke  angelegt. Vor jeder Zelle war ein Sitzbrettchen zum bequemen Ab- und Anflug.
Der Taubenschlag stand an einem warmen, besonnten Teil des Hauses oder auch auf dem Dach.
Seine Decke wurde von  Zeit zu Zeit weiß getüncht,weil Tauben angeblich die weiße Farbe
lieben.

Immer wurden die gleiche Anzahl Männchen und Weibchen gehalten,um die Tiere besser an den
Schlag zu gewöhnen. Allerhand abergläubische Mittel fanden Verwendung, das  Entweichen auf fremde
Schläge zu verhindern. Zum Beispiel waren Stricke, an denen Menschen sich erdrosselt hatten, zum
Aufhängen im Schlag sehr gesucht. Leichte Einschnitte an den Gelenken der Tauben,
aber mit goldenen Instrumenten ausgeführt, sollte angeblich von gleicher Wirkung sein, ebenso
fleißiges Füttern mit Vogelwicken. Als Schutz vor Wiesel wurde Wieselasche zum Futter gestreut 
oder ein Haufen Spartgras ins Taubenhaus geworfen.

Da die Römer die Taubenzucht in der Hauptsache als gewinnbringendes Unternehmen betrieben,
mästeten sie die Speisetauben, und zwar mit grausamen Mitteln. Sie rupften den heranwachsenden
Tieren die Schwungfedern aus, brachen ihnen die Beine und nudelten sie mit angekautem Weiß-
brot, um sie durch das Festsitzen möglichst fett zu machen. Auch die Mästung der Turtel- und
Ringeltaube wurde von den Römern gerne vorgenommen. Man fing sie und sperrte sie in Schläge
ohne Nistzellen. An ihrer Stelle schlug man Pflöcke in die Wand, legte über sie Streifen von  Hanf-
gewebe und schloss nach vorne die Reihen mit einem Netz ab. Geeignetste Mästungszeit war die
Ernte im Sommer. Eine gemästete Turteltaube gehörte zu den Leckerbissen. Das zum Nudeln
verwendete, sehr oft weingetränke Brot knetete man mit ölgefetteten Händen unter Zumischung
von  Bohnen und Speltschrot.

Neben den Speisetauben liebten die Römer auch Schönheitstiere mit hübscher auffallender
Färbung. Für besonders schöne Tauben, von denen sie Stammbäume führten, Zahlten die Tauben-
liebhaber sehr hohe Preise,so dass die Übertriebenheiten und Narrheiten vom Schriftsteller Plinius
öffentlich gegeisselt wurden. Sehr beliebt waren die großen und kräftigen cambanischen Tauben
und die Alexandriner.

Im Altertum war die Schifffahrt hauptsächlich Küstenschifffahrt. Ihr dienten die Tauben wegen
ihrer Schnelligkeit und Ausdauer und wegen ihres guten Ortssinnes als Pfadfinder. Griechen,
Ägypter,Phönizier nahmen sie auf ihren Schiffen  mit und
ließen sie zur Entfernungsbestimmung des nächstgelegenen Landes vom Schiffe auf. Nach der
Abfahrt aus dem heimatlichen Hafen brachten aufgelassene Tauben den letzten Abschiedsgruß,   
und bei der Heimkehr dienten sie als Vorboten einer glücklich beendeten Fahrt. Auch  Belagerte
einer Stadt benutzten die Tauben als Nachrichtenvermittler, und die Wettkämpfer nahmen sie zu
den olympischen Spiele mit. Mit einem roten Läppchen an den Füßen als Siegeszeichen kehrten
die Tauben heim und Eltern und Geschwister wussten vom Siege ihres Familienmitgliedes, noch
ehe selbst davon berichten konnte. Der zum Christentum sich bekennende Teil der Römer nahm
die Taube bald in den Kult auf. In  den älteren christlichen Katakomben erscheint das Bild der
fliegenden Taube als Sinnbild des heiligen Geistes, um zu veranschaulichen: wie der heilige Geist
zur Erde nieder fuhr,so schwingt sich die abgeschiedene fromme Seele wieder auf zum Himmel,
wo sie einst schon wohnte, sie kehrt heim ins Vaterhaus. Die Taube wird zum Sinnbild der Auf-
erstehung. Deshalb werden auch Tauben in die Gräber gelegt, und die Grablampen werden mit

Formen in Taubengestalt geschmückt,ebenso die kirchlichen Geräte Schon bei der Schöpfungs-
dichtung vertrat die Taube den Geist Gottes. Er schwebte wie brütend über den Wassern, aus
denen das Leben stieg. Die christliche Kultur nahm auch den  Gedanken auf, der tröstend am
Ende der Sintflutsage steht: Gott macht Frieden mit den Menschen, die Taube Noahs wird zum Sin-
nbild des Friedens auf Erden.

Dr. Fr. (1937)

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