Hoch und Soloflieger

Hannoveranische Soloflieger, Danziger und Stralsunderhochflieger

Quelle: Schweizerische Blätter für Ornithologie
Zürich den 7. Dezember 1894. Verfasser, Ferd. Wirth, Zug

Die beschriebenen Tauben teilen das Schicksal vieler Menschen, die, weil sie nicht das Talent haben, sich äusserlich hervorzutun,von oberflächlichen Menschen für einfältig gehalten werden, obwohl sie mehr gediegenes Wissen und Können besitzen als der brüstende Stolze.....

In der Dressur leistet die bescheidene Taube Erstaunliches...,eignen sie sich durch ihre Fluggewandtheit auch zu Spielen in hoher Luft. Da handelt es sich nicht um einen Zwang,...Nein, bei diesen Luftspielen besteht keine Quälerei irgend einer Art, frei erhebt sich die Taube gegen den Blauen Himmel. Freut sich des Lebens in hoher, reiner Luft, zieht ihre Kreise wie der Adler, der gegen die Sonne steigt, und wenn die kleine Brust sich satt im reinen Äther gebadet hat, steigt sie wieder nieder in ihren heimischen Schlag.

Wir wären nun beim Hochflugsport angelangt und finden da drei verschiedene Richtungen, nach denen die Tauben dressiert und gehalten werden müssen; man unterscheidet nämlich Soloflieger, Hoch oder Truppflieger und Purzler.

Der Soloflieger ist eine ganz eigentümliche Erscheinung. Hoch oben am blauen Himmel, in unermesslicher Entfernung, mit dem Auge kaum noch wahrnehmbar, sieht man einen beweglichen Punkt und staunend lässt man sich`s sagen, eine Taube, ein sog. Soloflieger sei, der da stundenlang einsam seine Kreise ziehe. Es ist ein Hannoveraner Soloflieger, ein Matador unter den Hochfliegern. Die Heimat diesen ächten Hoch oder Soloflieger ist Hannover; sie sind in ächter Qualität aber sehr selten und nicht weit ver-breitet. Was so ein Soloflieger an Eleganz des Fluges, beim Aufsteigen sowohl als beim Fliegen und in der Ausdauer desselben leistet, ist wohl das Höchste, was man von einer Taube verlangen kann.

Dieser Soloflieger ist also eine wirkliche Sporttaube der Stadt Hannover, deren Leistung durch sorgfältige Dressur bis zum Unglaublichen gesteigert werden kann. Während andere Hochflieger truppweise emporsteigen und dann gemeinsam in hoher Luft ihre Kreise ziehen, tut das der Soloflieger einsam und alleine. Man setzt ihn auf das Flugbrett und alsobald, gut dressiert, fliegt er in grossen Spiralen majestätisch, ruhig, in unermesslicher Höhe hinauf, bis ihn das menschliche Auge kaum noch zeitweise zu erblicken vermag; oder man ihn nur durch gute Ferngläser verfolgen kann. Das Überschlagen oder Purzeln ist bei diesen Soloflieger nicht beliebt, obwohl es in der Rasse liegt, dass der Übermut der Kleinen Brust sich oft daran gefällt. So ergötzen sich diese frohen Flieger 4 bis 8 Stunden lang, kreisend in hoher Luft, bis sie dann schnell hinuntersteigen und sofort Nahrung aufnehmen,die ihnen vor dem Flug nur sparsam gereicht wurde.

Eine solche Leistung wird nur durch eine verständige, kundige Dressur erlangt. Die Tauben werden eingesperrt gehalten und nur einzeln morgens oder mittags auf das Flugbrett gesetzt; sie scheinen sich auch darauf zu freuen, in dem sie sich mühelos dazu greifen lassen. Freilich, bis sie ihre Pflicht erfassen, ist es schon notwendig, sie zu jagen. Hat sich die Sache einmal eingelebt, so kann man unter Umständen den ganzen Schwarm fliegen lassen, Aber es müssen lauter Soloflieger sein, sonst geht der Einzelflug verloren. Bei windigem Wetter ist es besser, die Tauben nicht fliegen zu lassen, weil die damit verbundene Schwierigkeit den eleganten, ruhigen Flug verderbt. Auch wenn die Tauben im Treiben begriffen sind, zeigen Sie wenig Lust, sich in die Höhe zu begeben und da zu kreisen; die Paare unterhalte sich lieber und pflegen der Liebe. Zeigt eine sonst gut dressierte Taube keine Lust zum Steigen, so lasse man sie zu gewähren, sie wird später das Versäumte um so freudiger einholen. Das Jagen bei gut dressierte Tauben ist überhaupt unnötig, denn wenn die Zeit gekommen ist, so sehnen sich die Tauben nach Freiheit; wenn nun der Schlag geöffnet wird, oder der Herr die bestimmte Taube auf das Flugbrett setzt, geht es eilig hinauf in die schwindelnde Höhe.

In Gestalt präsentiert sich der Hannoveraner Soloflieger als ein lang-schnäbliger Tümmler, jedoch etwas gestreckter und mit breiterer, vollerer Brust als bei den gewöhnlichen Tümmler. Der Kopf ist flach, Stirne etwas hervortretend, meistens ohne Haube. Der Schnabel ist lang, hell und stark. Die Augen sind entweder Perl oder Rotaugen, die Perl oder Weissauge sollen einen grossen weissen und die Rotaugen einen grossen roten Ring um das Auge haben, je nach Grösse der Ringe und je kleiner die Pupille, desto wertvoller die Taube. Die Farbe des Gefieders betreffend findet man schwarze, weisse, fahle, braune, blau und gelbgeränderte. Alle diese Farben, selbstverständlich die weissen ausgenommen, müssen gleich viele 7 bis 10 weisse Schwingfedern an jedem Flügel haben. Als eine Eigentümlichkeit echter Rasse gilt ein weisser kleiner Afterfleck.

Weit über die Schönheit des Gefieders geht dem Sportsmann aber die Eigenschaft als Flieger, darum paart er auch immer ohne Ansehender Farbe die Besten Flieger zusammen, um wieder ähnliche Junge zu erhalten. Der Taubenfreund hängt aber auch mit einer wahren Verehrung an seinen Künstlertauben und gäbe sie um keinen Preis weg. Ihre Flugbegabung ist aber auch wirklich wunderbar. In Ihrer Lebenslust sind sie oft so übermütig, dass sie vergessen, herab zukommen und dann, wenn schon die Nacht ihren Schatten ausbreitet, ein klägliches Ende Finden, was gewöhnlich die besten Flieger betrifft. Gar viele sind schon in Schornsteine gestürzt, daher der Name "Schornsteinfeger" für diese Soloflieger; auch sonst drohen ihnen viele Gefahren, so dass es zu empfehlen ist, die Tauben nicht mehr spät am Abend fliegen zu lassen, will der Taubenfreund nicht seine besten Flieger, seinen Stolz und Seine Freude, aufs Spiel setzen.

Der Bericht wurde von der Sütterlinschrift in die Lateinische Schrift um geschrieben.

Teil 2 über die Danziger und Stralsunder - Hochflieger erscheint am 1. Oktober 2018 auf www.flugtippler.ch Berichte.

Der Bericht wurde von der Sütterlinschrift in die Lateinische Schrift umgeschrieben.

Walter Stettler CH Binningen www.flugtippler.ch                                      

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